Klassiker neu interpretiert
Zu Besuch in der „Ole Deele“ in Burgwedel bei Hannover
Es ist ein Trend, der nun schon einige Jahre anhält: Gehobene Restaurants setzen auf Bodenständigkeit. Nicht alle, aber inzwischen so einige. Und manche jungen, neu entstehenden Küchen richten sich von Anfang an so aus und erfreuen mit bekannten, aber neu interpretierten Geschmackskombinationen.
Dahinter steht die Überzeugung, dass es nicht unbedingt exotische oder besonders hochpreisige Produkte aus aller Welt sein müssen, die einen Teller zu einem Wow-Erlebnis machen. Klassiker wie Rouladen, Grünkohl, Ente mit Rotkohl oder ein Senfei müssen Hummer, Trüffel und Kavier in nichts nachstehen – wenn man sie denn entsprechend zubereitet.
Ein Team, das sich auf die Neuinterpretation von altbewährten Klassikern spezialisiert hat, ist das von Benjamin Gallein in der „Ole Deele“ in Burgwedel bei Hannover. Nachdem sein Vorgänger Tony Hohlfeld das kleine Restaurant mit seinem Team 2015 verlassen und das „Jante“ in Hannover eröffnet hat, kam Gallein aus dem Schlosshotel Münchhausen und baute innerhalb kürzester Zeit ein komplett neues Team auf, das Ende 2016 bereits nach eineinhalb Jahren mit 17 Punkten im Gault & Millau und einem Michelin-Stern ausgezeichnet worden ist.
Der Stil des Restaurants, das in einem malerischen Fachwerkhaus untergebracht ist: Kleinteilig und aufwendig, aber in den Details eben relativ bodenständig. Da gibt es zum Beispiel die Ente mit Rotkohl und Klößen. Oder Blumenkohl „polnisch“ mit Butterbröseln. Auch Senfei, Borschtsch oder Zander nach „Winzer Art“ standen kürzlich auf der Menükarte. Gerade so vermeintlich einfache und unspektakuläre Klassiker dürfen und sollen hier ihren Platz in einem Gourmet-Restaurant haben.
„Verrückte Kombinationen gibt es ja schon viele“, sind sich Gallein und sein Souschef Robert Awakjan einig. Da sei es für sie als junge Köche mindestens genauso spannend, das Althergebrachte neu in Szene zu setzen. „Wir versuchen, die Gerichte auf Gourmet-Restaurant-Ebene zu bringen“, erklärt Benjamin Gallein.
Er und Awakjan haben das Klassiker-Thema mittlerweile fest in das Repertoire des jungen Teams etabliert. In der Küche sind sie zu fünft und tüfteln neben dem normalen Tagesgeschäft (40 Plätze im Restaurant) immer wieder an neuen Kreationen, die die Gäste an etwas Altbekanntes von Zuhause erinnern sollen, vielleicht sogar an Aromen aus der Kindheit. „Die Leute freuen sich, wenn sie etwas wiedererkennen“, weiß der Küchenchef. Außerdem haben Klassiker natürlich noch einen Vorteil: „Man weiß halt, dass es Kombinationen sind, die schmecken!“
Wie es dann aussieht, wenn Benjamin Gallein und sein Team einen Klassiker neu in Szene setzen? „Ein bisschen schicker“, meint der Chef mit einem Schmunzeln. Doch das ist nur die halbe Miete. Weitere Stellschrauben sind zum Beispiel verschiedene Garmethoden, Konsistenzen und Temperaturen.
Die Ente zum Beispiel wird über mehrere Stunde bei 120 Grad confiert, also im eigenen Saft indirekt und dadurch besonders schonend gegart. So schmeckt sie am Ende schön saftig, und der reine Geschmack des Fleisches bleibt erhalten. Außerdem schauen die jungen Köche deutlich ganzheitlicher auf ein Gericht als die Hausfrau oder auch der Hobbykoch daheim. So landen nicht nur Brust und Keule auf dem Teller. Auch die Innereien werden in den Klassiker „Ente mit Rotkohl und Klößen“ eingearbeitet und finden sich dann zum Beispiel angebraten und gewürzt als Mus auf einem kleinen Cracker wieder.
„Das kommt dann aber auch oft zurück in die Küche“, bedauert Gallein. Es ist einfach so, dass viele Menschen in Deutschland nach wie vor ein Problem damit haben, Innereien zu sich zu nehmen. Das ist meist keine Geschmacks-, sondern eher eine Kopfsache, die schon Kindern antrainiert wird. Nach dem Motto: „So etwas ist pfui, das isst man nicht.“ Für immer mehr Köche hat es hingegen nicht zuletzt etwas mit Respekt gegenüber dem Tier zu tun, es, wenn man es denn schon tötet, bestmöglich zu verwenden und nicht die Hälfte achtlos wegzuwerfen.
Aber das ist ein Thema für sich. Zurück zu den Klassikern in der „Ole Deele“. Beim Blumenkohl „polnisch“ werden die Butterbrösel mit Ei nicht einfach über den gegarten Kohl gegeben, sondern als Creme zubereitet, die dann neben Eigelb-Ravioli, gebratener Blumenkohlschnitte, Blumenkohlcouscous, frittiertem Blumenkohl und Petersiliencreme serviert wird. Die Zutaten sind tatsächlich größtenteils identisch mit denen des Klassikers – jedoch machen die Art der Präsentation, die Vielfalt auf dem Teller und das Spiel mit den Konsistenzen und Garmethoden hier eben den entscheidenden Unterschied.
Im Kern geht es in der Spitzengastronomie ja immer wieder darum, den vorhandenen Geschmack eines Produktes zu intensivieren und dabei so auf den Teller zu bringen, dass er sich bestmöglich mit anderen Aromen verbindet oder eben allein für sich für ein Wow-Erlebnis sorgt. Und genau da setzt das Team um Benjamin Gallein mit seinen Ideen an: „Als wir den Borschtsch auf die Karte nehmen wollten, haben wir überlegt, wie wir ihn auf ein neues Niveau heben können“, berichtet der 30-jährige Küchenchef. Einfach einen Rote-Bete-Eintopf servieren? „Das können wir hier im Gourmet-Restaurant nicht machen!“ So haben die jungen Köche an einem intensiven Rote-Bete-Fond gearbeitet, der erst kurz vor dem Servieren auf sanft gegarte Rote-Bete-Würfel, gebratenen Lauch, Kalbsherz und weitere jeweils einzeln gegarte Komponenten des Gerichts aufgegossen wird. Die Idee zu diesem Gang geht übrigens auf ein Familienrezept von Souschef Robert Awakjan zurück, dessen Familie kasachische Wurzeln hat.
Wer an Klassiker denkt, der ist auch nah an einem anderen großen Thema unserer Zeit: Regionalität und saisonale Ernte. Für Benjamin Gallein und sein Team definitiv etwas, das zusammen gehört. Für dieses Jahr ist es ein Ziel, einen Bauern in der Umgebung zu finden, der individuell für sie Gemüse-, Obst- und Kräutersorten anbaut.
„Wir arbeiten jetzt auch schon nach Möglichkeit mit tollen, lokalen Produzenten zusammen“, sagt Gallein. Mit einem Bauern, den das Team direkt an der Hand hätte, gäbe es hier und da aber schon noch weitere Möglichkeiten. Der Hintergrund: Viele eigentlich schöne Sachen – und zwar gerade die, die im Anbau etwas aufwändiger sind – möchte heute kaum noch einer haben, erklärt Gallein. Also werden sie normalerweise nicht (mehr) hergestellt.
Klar: Wenn ein Produkt kein Massenprodukt ist, ist sein Preis höher, und die wenigsten Deutschen sind nun einmal bereit oder in der Lage, viel Geld fürs Essen auszugeben. Es ist ein Teufelskreis, der in vielen Fällen nur noch durch ambitionierte Gourmet-Restaurants wie die „Ole Deele“ durchbrochen wird. Ein Beispiel? Geschossener Lauch mit feinen Blüten sei ein wunderbares Produkt, sagt Gallein – und letztendlich sei es auch ein Klassiker, der direkt vor der Haustür wächst. Oder besser: wachsen könnte.