Backstage: Wo gutes Fleisch herkommt
Zu Besuch bei der Metzgerei „Kalieber“
Ein wenig mulmig ist mir zumute. Vor mir liegt ein Tag in einer Metzgerei. Ganze Schweine (neuerdings auch Angus- und Galloway-Rinder) werden hier bei „Kalieber“ im Oldenburger Land zerlegt – und zu Wiener Würstchen, Schinkenwurst, Leberwurst oder Rippchen für den Grill verarbeitet. Ob ich heute Abend als Vegetarierin wieder nach Hause fahre? Ich versuche, den Gedanken zu verdrängen. Denn mal ehrlich: Wer Fleisch isst und sich sonntagmorgens auf ein frisches Brötchen mit leckerer Schinkenwurst freut, der sollte sich ruhig mal ansehen, welche Geschichte dahintersteckt.
So viel weiß ich: Die Tiere hier kommen nicht aus anonymer Massenhaltung. Als Fleischermeisterin Sarah Dhem und ihr Mann Mirko vor gut zwei Jahren die Marke „Kalieber“ gründeten, haben sie das Prinzip „Wir kennen den Landwirt“ eingeführt: Sie arbeiten nur mit einer Handvoll Bauern zusammen, von denen sie wissen, dass ihnen das Wohl der Schweine am Herzen liegt. Aber dazu später mehr.
Bevor ich die Zerlegehalle betreten darf, heißt es: Hände waschen, Schutzkleidung anlegen, desinfizieren. Selbst mein Schreibblock, auf dem ich mir Notizen für diese Geschichte machen möchte, muss draußen bleiben. Sarah Dhem erklärt mir, warum: Von dem Spiralblock könnten sich kleine Papierfetzen lösen und Bakterien in die Produktion gelangen. Dass man es hier so genau nimmt, gefällt mir. Schließlich wollen wir doch alle ein einwandfreies Produkt.
Mit meinem blauen Besucheranzug, Schuhverkleidung und Kopfbedeckung (so richtig stylish!) trete ich in die Halle. Acht halbe Schweine hängen dort an einer Eisenstange. Zwei Fleischermeister zerteilen sie mit einer Routine, Sorgfalt und Geschwindigkeit, als hätten sie nie etwas anderes gemacht. „Jeder hier ist spezialisiert“, sagt Mirko Dhem, der vor allem für die Entwicklung neuer Produkte zuständig ist. Das Ehepaar Dhem, das sich auf einer Lebensmittelmesse kennengelernt hat, praktiziert eine ungewöhnliche Rollenverteilung: sie Fleischermeisterin, er Lebensmitteltechniker und gelernter Koch.
„Als ich nach einer Lehrstelle gesucht habe, habe ich erst mal keine gefunden“, erzählt Sarah Dhem. „Eine Frau als Fleischer – selbst der Innungsmeister hat mich gefragt, wie er das denn bitte seinen Jungs im Betrieb erklären soll. Ich habe ihm gesagt, er soll mir ein bisschen Zeit und eine Kiste Bier geben, dann kriege ich das schon hin!“ Schlachten, Zerlegen, Wurst kochen – das bereitet ihr weder Bauchschmerzen noch Unwohlsein. Trotzdem sieht ihr Alltag inzwischen anders aus: Als vierfache Mutter kümmert sich die 37-Jährige vor allem um Vertrieb und Marketing. „Fleischer ist ein Knochenjob. Ich würde das bis zur Rente nur schwer schaffen“, gibt sie zu.
Der Anblick der hängenden Schweine bereitet meinem Magen weniger Probleme als erwartet. Schließlich ist es ein bisschen wie in der Küche, wo ein Lammrücken, eine Rinderschulter oder ein Huhn ja auch zerlegt werden. Nur eben in Groß. So groß, dass die Fleischer zu ihrer eigenen Sicherheit Metallschürzen und -handschuhe tragen. Denn die Messer und Sägen, die zum Einsatz kommen, haben ein ordentliches Kaliber! In der Metzgersprache beschreibt „Kaliber“ übrigens den Durchmesser eines Naturdarms für hausgemachte Würste. Verbunden mit der Liebe fürs Handwerk, entstand so der Firmenname „Kalieber“.
Dass hier nicht bereits fertig zugeschnittene Fleischteile angeliefert werden, hat mit einer Rückbesinnung zu tun. „Als mein Opa die Fleischerei gründete, wurden selbstverständlich ganze Tiere verarbeitet“, erzählt Sarah Dhem. Irgendwann hätten die Kunden aber fast nur noch bestimmte Teile gewollt. Das Blatt hat sich nun wieder gewendet, denn ein Schwein bietet nun mal weitaus mehr als Schnitzel und Nacken, wie die „Nose-to-Tail“-Bewegung zeigt. „Wir wollen das Tier möglichst komplett verarbeiten, nichts wegwerfen“, so die Fleischermeisterin. Für sie eine Frage des Respekts: „Das Tier hat schließlich sein Leben für uns gelassen.“
Wir ziehen weiter durch die Produktion, zum Kutter – quasi ein riesiger Thermomix, erklärt mir Mirko Dhem, 42. Das Fleisch wird darin mit einem scharfen Messer fein zerkleinert, erhitzt und mit anderen Zutaten vermischt. Ich stehe vor der imposanten Maschine und vermute, dass man wohl drei oder vier Autos dafür kaufen könnte. „Sogar eine schicke Wohnung“, sagt Mirko Dhem.
Der Kutter ist das Herzstück der Metzgerei. Jede Leberwurst, jede Schinkenwurst, jedes Würstchen nimmt darin seinen Anfang. Heute steht Leberwurst auf dem Programm. Mirko Dhem hat eine Rezeptur mit sonnengetrockneten Tomaten, Bourbon-Vanille, Honig und italienischen Kräutern ausgetüftelt. Die Leber landet im Kutter und wird leicht erhitzt. Nicht zu stark, sonst würde sie krisselig werden. „Das absolute No-Go bei guter Leberwurst“, bemerkt Sarah Dhem. Dann kommen Salz, Honig und Bauchfett hinzu. Bauchfett, weil es schön weich ist, so lässt sich die Wurst später gut schmieren.
Mir ist inzwischen richtig kalt. Fünf Grad sind es hier drin, gefühlt eher ein oder zwei. Ich stelle mir vor, täglich bei so niedrigen Temperaturen zu arbeiten. Puh … nee! Während der Kutter lärmt, laufe ich umher, um mich aufzuwärmen. Irgendwann ist die Fleischmasse fast fertig. Erst jetzt werden die getrockneten Tomaten und die Gewürze hinzugegeben. Aber nicht zu viel. „Wir verwenden so gutes Fleisch, das soll man ja auch noch schmecken“, sagt Mirko Dhem. Während die rote Tomatenleberwurst in drei großen Kisten zur Abfüllanlage transportiert wird, spannt einer der Fleischer den Darm in die Füllanlage ein. Und dann geht es zack, zack – in wenigen Minuten sind mehr als 50 Leberwürste abgefüllt. Im heißen Dampf werden sie nun auf rund 70 oder 80 Grad erhitzt, dann sind sie fertig. Eine nehme ich zum Probieren mit nach Hause.
Zugegeben: Ich habe mir eine Familienschlachterei ursprünglicher und mit weniger Hightech vorgestellt. Aber der Aufwand leuchtet mir jetzt ein. Und mein Respekt vor dem Produkt wächst noch, als wir am nächsten Tag den „Hof Mörixmann“ in Hilter ganz in der Nähe meiner Heimatstadt Osnabrück besuchen, eine gute Autostunde von Lastrup entfernt. Von hier kamen die Schweine, die gestern vor meinen Augen verarbeitet wurden. Die Zucht besteht aus 800 Tieren, die 50 Prozent mehr Platz haben als bei konventioneller Haltung, das Futter ist frei von Gentechnik. Es wirkt wie auf einem Schulhof: Einige spielen draußen im Heu und hüpfen aufgeregt an den Zaun, als ich mich nähere. Andere spielen im Bällebecken, chillen im Ruheraum, saufen an der Tränke oder spazieren einfach ein bisschen umher. „Aktivstall“ nennen sie bei „Mörixmann“ diese Haltungsform: Die Schweine sind nicht gefangen in ihren Boxen, sondern haben fünf Räume, in denen sie sich frei bewegen können. Dass sie fast noch Ferkel sind, merkt man sofort. Sie wollen spielen, sind zutraulich, zwicken mich sogar, als ich sie im Stall besuche.
„Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass nicht manchmal Tränen fließen, wenn sie abgeholt werden, natürlich hat man seine Lieblingstiere“, erzählt Landwirtin Gabriele Mörixmann. „Ich denke dann nur, hoffentlich schätzen die Menschen euer Leben und essen das Fleisch auch wirklich auf und werfen nicht wahllos etwas weg!“ Ich verstehe sie gut. Als Landwirtin kann sie nicht täglich zweifeln, ob das Schlachten grundsätzlich richtig ist – dann hätte sie den falschen Job. Und ich werde weiterhin mein Schinkenwurstbrötchen essen. Und auch mal ein tolles Steak. Aber in Maßen. Und mit Respekt. Ich weiß jetzt, was dahintersteckt.
Hinter den Kulissen bei…
Dieser Beitrag ist auch in der neuen Backstage-Reihe im jungen „Feinschmecker“-Magazin „FOODIE“ erschienen (Ausgabe 02/2017). In der Backstage-Reihe blicke ich hinter die Kulissen von spannenden Restaurants, Metzgereien, Winzerhöfen, Bäckereien und anderen interessanten Unternehmen und Betrieben aus der Welt des guten Essens!
FOODIE ist das junge Schwestermagazin vom „Feinschmecker“. Im Mittelpunkt: Gute, moderne und trendige Küche, alltagstaugliche, aber spannende Rezepte, Tipps für Restaurants, Cafés und Bistros auf Reisen und Geschichten über spannende Gastro-Start-Ups und Restaurants.