Restaurant Essigbrätlein: Foodpairing und Gemüse in der Hauptrolle
Küchenchef Andrée Köthe über heimisches und saisonales Gemüse in der Spitzengastronomie
Fleisch oder Fisch im Mittelpunkt, das Gemüse als Beilage in der „Nebenrolle“ drumherum. In den meisten Restaurants sind Gerichte -insbesondere Hauptgerichte- nach diesem Schema aufgebaut. Anders im Nürnberger „Essigbrätlein“: Schon seit vielen Jahren gibt in dem mit 2 Michelin-Sternen ausgezeichneten Restaurant die heimische und saisonale Ernte den Ton an. Gurken, Kohlrabi, Steckrüben, Möhren, Spargel, Spinat und andere Vertreter nehmen hier immer wieder die Hauptrollen auf dem Teller ein und werden in unterschiedlichsten Zubereitungsarten, Konsistenzen und Aggregatzuständen serviert. Ein Gespräch mit Küchenchef Andrée Köthe über Foodpairing und die auf heimische Ernte fokussierte Ausrichtung seines Restaurants.
Lieber Herr Köthe, seit vielen Jahren ist das „Essigbrätlein“ für die stark auf Gemüse fokussierte Ausrichtung seiner Teller bekannt. Wie kam es dazu?
Das hängt nicht zuletzt mit der Frage zusammen, wie wir dauerhaft konkurrenzfähig sein können. Wenn wir an 220 Öffnungtagen im Jahr konstant beste Qualität liefern wollen müssen wir Produkte verwenden, die auch konstant in immer gleich bleibender Qualität zur Verfügung stehen. Hochwertige Fische, die aus Frankreich angeliefert werden, sind wunderbar und es lassen sich exzellente Gerichte damit kochen. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass es Phasen unterschiedlicher Qualität gibt, ist groß. Deshalb haben wir schon vor 15 Jahren gesagt, dass wir uns im Schwerpunkt auf regionale und saisonale Produkte konzentrieren. All‘ das, was in unserer Umgebung wächst und uns frisch vom Erzeuger zur Verfügung steht. Fisch und Fleisch gibt es natürlich dennoch. Passend zur Struktur der Gemüsegänge wählen wir Fleisch und Fisch indivduell aus.
Im Frühjahr haben Sie in einem Zwischengang verschiedene Aggregatzustände und Zubereitungen vom Spargel serviert: Ein Spargelsalat mit Zitrone, Spargel mit Kaffee, ein Spargelmus und Spargel in dunkler Spargelasche – wie kommt man auf so eine Idee?
Vor 5 Jahren haben wir unsere Gemüsebücher geschrieben und dabei festgestellt, dass wir vom Gemüse von der tiefsten Wurzel bis hin zum höchsten Blatt nahezu alles verarbeiten können. So haben wir hier beim Spargel die Schalen verbrannt und die trockene Asche mit Kaffee in der Mühle gemahlen und eine Soße daraus gemacht.
Eine überraschende, sehr gegensätzliche Kombination: Da trifft weißer Spargel auf schwarz-graue Asche-Soße. Warum kann man davon ausgehen, dass solch eine Kombination funktioniert?
Schwarz und Weiß gehen meist gut zusammen. Weiße und besonders helle Lebensmittel, wie Wasser, Kohlrabi, Mairüben oder auch Spargel haben einen starken Eigengeschmack, sind tendenziell mild und weniger kräftig. Je weiter wir in die Richtung der dunklen Lebensmittel gehen – etwa dunkle Dörrpflaumen, Asche oder auch Schokolade – desto tiefgründiger, intensiver und kräftiger wird der Geschmack. Helle, also milde Produkte passen mit dunklen, sehr kräftigen Produkten meist sehr gut zusammen.
Also lässt sich ein guter Teller komplett über Farbkombinationen gestalten?
Nicht zwingend. Man hat aber in jedem Fall eine passende Mischung. Weiße Produkte geben sehr viele Möglichkeiten, grünes Gemüse ist schon deutlich schwieriger, lässt sich untereinander aber gut kombinieren: Also Spinat, Feldsalat und Gurke zum Beispiel. Die Farben sind aber nur eine Sache. Im Vordergrund muss immer noch eine gute Idee stehen. Für die Feinabstimmungen können Farben dann ein Mittel zur Wahl sein. Außerdem haben wir alle unsere Essgewohnheiten, denen ein guter Teller meist auch nachkommen muss (lacht).
Und was muss ein Teller können, um bei einem typisch deutschen Esser zu landen?
Die meisten von uns sind mit Fleisch groß geworden und sind dadurch an Umami gewöhnt, genauso wie an süß, salzig, bitter oder sauer. Wenn wir also einfach einen farblich und geschmacklich perfekt abgestimmten Teller servieren, kann sich die Zufriedenheit beim Gast möglicherweise doch in Grenzen halten, weil eine gewünschte Geschmacksrichtung fehlt. Bei reinen Gemüsegängen arbeiten wir zum Beispiel mit Techniken wie der Fermentation, um diese gewünschten Aromen zu erzeugen. Oder die verschiedenen Gemüsevariationen werden tatsächlich mit Fleisch oder einer umami-haltigen Soße kombiniert.
Ihre Teller sind oft davon geprägt, dass eine einzige Gemüsesorte in verschiedenen Zuständen und somit auch Geschmacksrichtungen serviert wird. Wie erzielt man diese Vielfalt, was gibt es bei solchen Variationen zu beachten?
Ein Beispiel. Wir hatten im Frühjahr Steckrüben auf der Karte. Diese unterscheiden sich abhängig davon, ob sie ganz frisch im Herbst oder Winter oder abgelagert im Frühjahr serviert werden übrigens sogar schon in ihrem Eigengeschmack. Ganz frisch ist sie im September fast ein wenig bitter und scharf wie Rettich. Abgelagert im Frühjahr enthält sie viel mehr Süße – dann muss sie dementsprechend auch anders verarbeitet werden. Wir haben einen Teil der Steckrüben 24 Stunden im Ofen bei 160°C gebacken, dann halbiert, vakuumiert und zwei Tage im Kühlschrank gelagert. Die Rüben haben unfassbar intensiv, fast wie Trüffel gerochen. Einen anderen Teil der Steckrüben haben wir zwei Tage roh eingelegt, das waren dann knackige Gemüsewürfel. Weitere Möglichkeiten sind Dünsten, Rösten oder Entsaften. Welche dieser Zubereitungsarten einem gefällt hängt stark von unseren Essgewohnheiten ab und auch davon, inwiefern man sich für neue Geschmacksrichtungen und Aromen öffnet. Das kann sehr spannend sein.
Buchtipp: Gemüseküche aus dem Essigbrätlein für Zuhause
Wer in die Welt der Gemüsekompositionen des Essigbrätleins einmal näher eintauchen möchte, der findet in den beiden Gemüsebüchern der beiden Spitzenköche Ives Ollech und Andrée Köthe nicht nur raffinierte und aus der Sicht der Alltagsküche seltene und verblüffende Kombinationen, sondern auch spannend aufbereitete Warenkunde, angereichert mit Geschichten aus dem Restaurantleben. Das erste Buch (2012) ist leider schon vergriffen, der Folgeband „Gemüse2“, der inhaltlich genauso aufgebaut ist wie der erste und 52 neue Rezepte mit bekannten, aber auch alten, vergessenen oder einfach selten erhältlichen Gemüsesorten beinhaltet, ist im Tre Torri Verlag erschienen und nach wie vor erhältlich. Wie man zum Beispiel Grünkohl modern mit Reisessig, Reh und Joghurtsoße zubereiten kann, warum Rote Bete auch wunderbar als Dessert funktioniert oder warum es sich bei vielen Gemüsesorten lohnt, nicht nur die Frucht, sondern auch Wurzeln, Blätter oder mitunter auch Blüten mit auf den Teller zu bringen – all‘ diese Themen werden in dem edel aufgemachten Titel erläutert und mit passenden Rezepten präsentiert.
Köthe, Andrée und Ollech, Ives: „Gemüse2“, Tre Torri Verlag, 224 Seiten, 49,95 Euro.
Weitere Informationen:
Restaurant Essigbrätlein
Weinmarkt 3
90403 Nürnberg