From Nose to Tail: Warum Innereienküche ein irrationales Tabu ist
Einblicke in die Küche von Haubenkoch Max Stiegl auf dem Gut Purbach
Es gibt nicht wenige Speisekarten, die vermuten lassen, dass ein Tier schlicht aus Filet besteht. Punkt. Sämtliche andere Bestandteile, die unter den Oberbegriff „Innereien“ fallen, findet man recht selten im Restaurant um die Ecke. Kein Wunder: Haben wir Innereien auch durch unsere Sozialisation allzu oft und fest in der Kategorie „eklig“ abgespeichert.
Max Stiegl versteht das nicht. Der Haubenkoch aus Österreich hat sich in seiner Küche im Gut Purbach am Neusiedler See auf Innereien spezialisiert. Neben ganz „normalen“ Gerichten, die auf Filet, Hüfte & Co. oder auch auf vegetarischen Zutaten aufbauen, bietet er immer wieder auch Kutteln, Hoden, Zunge, Herz oder Leber an. Wer sich richtig auf etwas einlassen möchte, der kann an einigen Tagen auch ein komplettes Innereienmenü bestellen. Und manch einer mag sich wundern: „Die sind immer innerhalb kürzester Zeit ausverkauft“, sagt Stiegl, der den Anschein macht, all‘ den Wirbel um seine Innereienküche gar nicht wirklich zu verstehen. Seine Haltung: Ganz gleich ob Herz, Niere, Kutteln, Leber oder T-Bone-Steak – wir haben es hier mit Tier zu tun. Warum macht man da einen Unterschied? Warum müssen wir über die Innereien überhaupt reden? Sie stehen uns doch bei einem geschlachteten Tier genauso zur Verfügung wie die begehrten Filetstücke.
Eine Haltung, die nicht nur wenige Köche mit ihm teilen. Zunehmend beschäftigen sich auch die Medien und Ernährungsbewegungen mit dem „From Nose to Tail“-Thema, also der Verwendung des Tieres von der Nase bis zum Schwanz. Foodmagazine, wie der Feinschmecker, BEEF oder Rolling Pin nehmen das Thema und entsprechende Rezepte auf und versuchen sie so in die Masse zu tragen. Funktioniert das?
Nach Ansicht von Dr. Daniel Kofahl, Ernährungssoziologe und Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik könnte das durchaus sein. Er beobachtet durchaus eine leichte Abkehr von der reinen Ekelsicht auf Innereien. Erfreulicherweise, wie er selbst sagt. Denn: „Dieses Phänomen, dass wir Innereien verschmähen, ist zutiefst irrational!“ Über Generationen habe sich diese Haltung wunderbar in der Gesellschaft verfestigt, eine Art Konditionierung, die in der Kultur zum Selbstläufer geworden ist. Dass es nicht immer so gewesen ist, zeige schon ein Blick ins Kinderbuchregal: „Bei den Kindern aus Lönneberga gibt es eine Szene, in der ein Schwein geschlachtet und daraus Blutsuppe gekocht wird“, erzählt Kofahl. Das Essen sei in der Geschichte ein Riesenfest, alle lieben die Suppe, Kinder genauso wie ihre Eltern. „Daran sieht man, dass es eigentlich etwas ganz Normales sein kann“, so der Ernährungssoziologe.
Wenn wir heute davon sprechen, dass wir Herz, Nieren, Leber, Blut, Kutteln, Hoden oder Zunge nicht mögen, dann haben wir dafür ehrlicherweise keine Erklärung. „Die meisten haben wenn überhaupt mal Leber gerochen“, sagt er. Es ist schlicht die überlieferte Vorstellung, die unbekannte Konsistenz, die konditionierte Abneigung. Doch es gibt Beispiele, wie eben auch das Gut Purbach von Max Stiegl, die dieses Blatt wenden könnten. Nicht von heute auf morgen. Sozialisation ist schließlich ein langwieriger Prozess. Eine Ausdifferenzierung. Aber immerhin Teile der Gesellschaft könnten durch genannte Beispiele nach und nach auf den Geschmack kommen, auch mal die vermeintlichen Abfälle des geschlachteten Tiers in den Blick zu nehmen.
„Aus ernährungsphysiologischer Sicht ist das ohnehin sinnvoll“, bemerkt Kofahl. Innereien seien für die Ernährung durchaus eine interessante und hochwertige Ergänzung. Allen voran die Leber, die als Speicherorgan lebenswichtige Vitamine in hochkonzentrierter Form bereit hält. Doch auch der ökologische Punkt, die Verwertung des gesamten Tieres ist ein hochaktuelles Thema, das übrigens auch zwei komplett verschiedene Ernährungstrends unserer Zeit gerade verbindet: Die vegetarische und vegane Ernährung, die zwar auf fleischfrei, aber auch auf das ökologische Gleichgewicht setzt. Letzteres steht bei der Verwertung des ganzen Tieres ganz oben auf der Liste. „Das befeuert sich gerade schon gegenseitig“, sagt Ernährungssoziologe Kofahl über die verschiedenen Trends und Bewegungen.
Ein Blick in die Küche. Was sind das für Gerichte, die Max Stiegl da kreiert? Sein „Huhn in der Blase“ zum Beispiel, das auf eine Idee aus dem renommierten französischen Restaurant Le Pyramide in Vienne zurückgeht und durch einen seiner Souschefs mit ins Burgenland gebracht worden ist, ist in Gourmetkreisen mittlerweike schon sehr bekannt. Dabei wird das Huhn in einer Schweinsblase in einem getrüffelten Sud schonend gegart und auch in dieser noch geschlossenen Form am Tisch serviert. Erst vor dem Gast wird die Blase aufgestochen. Keine Vakuumbeutel, wie sie heute in den Spitzenküchen für das schonende Garen eingesetzt werden, sondern die natürliche Blase eines Schweins.
In seinem Buch „Mein Pannonien“ (Krenn-Verlag, Österreich) präsentiert Stiegl noch viele weitere Rezepte für Zuhause – auch jene, in denen ganz selbstverständlich Innereien oder Fischkarkassen auf der Zutatenliste stehen. „Ganslmagen in der Rahmsuppe“, „Verhackertes vom Pferd mit verbrannten Zwiebeln“, „Schweinsrüssel mit Selleriepüree“ oder „Lammzunge mit Pannonischem Safran und Sellerie“ sind solche Gerichte, mit denen Stiegl schon seit einigen Jahren bei Restaurantführern und Gästen punktet (aktuell 16 Punkte im Gault-Millau) aber freilich auch bewusst provoziert.
Zitate wie „Ich finde Schafe einfach super. Sie mähen deinen Rasen, schauen gut aus und schmecken ganz hervorragend.“, wie es in seinem Buch im Fleischkapitel zu lesen ist, polarisieren und regen zum Nachdenken an. Genau das, was Stiegl möchte. So schreibt er auch: „Warum verkochen wir das alles? Einerseits, weil ich finde, dass es der Respekt gegenüber dem Tier gebietet, es komplett aufzuessen, wenn man es schon geschlachtet hat. Ich habe in meinem früheren Leben zahlreichen Schafen den Hals durchgeschnitten. Wenn Sie das ein paar Mal gemacht haben, werfen Sie so schnell nichts mehr weg. Andererseits heißt Kochkunst für mich, mit dem zu arbeiten, was da ist und daraus etwas Köstliches zu machen.“
Welche Innereien sich zum „Einstieg“ eignen? Stiegl rät zu Leber, Bries oder „einfach ein Herz, roh mit etwas Salz, Limette, Minze und Pfeffer.“
Tipp:
Wer in der Nähe von Wien unterwegs ist, sollte sich ein Besuch am Neusiedler See bei Max Stiegl (rund 1 h Fahrzeit) nicht entgehen lassen. Wer sich dabei nicht dem oben beschriebenen Innereienthema annähern möchte, findet auf der Karte auch viele andere tolle Gerichte. Die Fischsuppe (siehe Bild oben), für deren Zubereitung Ingwer, Linsen und Fisch- und Meeresfruchtkarkassen verwendet werden ist genauso zu empfehlen, wie der sonntägliche Braten, der jede Woche angeboten wird. Küchen-Tipp von Max Stiegl: Nicht mit Majoran geizen…